Wenn Evert Smit morgens mit seiner Arbeit beginnt, weiß er selten ganz genau was ihn erwartet. Das stört den gebürtigen Niederländer und Leiter der globalen Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei Lohmann allerdings nicht, ganz im Gegenteil. Seit 2015 ist er im TEC Center der Klebeexperten in Neuwied tätig, aber auch rund um den Globus unterwegs zu Vorträgen und Konferenzen, die für die Klebebandindustrie, ihre Partner, Zulieferer und Kunden von hoher Relevanz sind. Seit 2019 bekleidet er das Amt des Präsidenten der Afera, der „European Adhesive Tape Association“, eine Organisation der Klebebandindustrie, die gemeinsam am Voranbringen dieser Industrie, der Entwicklung von global standardisierten Test-Methoden sowie an einem effizienten Informationsaustausch arbeitet.
Treffen Sie mit uns den leidenschaftlichen Klebeingenieur zum Gespräch, um mehr zur Forschung und Entwicklung von Klebstoffen bei Lohmann zu erfahren und dem ein oder anderen Trend auf die Spur zu kommen.
Gerne! Grundsätzlich kann man unsere verschiedenen Klebstofftypen vierteilen: Wasserbasierte Klebstoffe, lösemittelbasierte Klebstoffe – wie Acrylate oder Kautschuke –, lösemittelfreie Klebstoffe (z.B. Haftschmelzklebstoffe oder UV-Acrylate) sowie reaktive Klebstoffsysteme.
Ist diese Vierteilung vollständig und final? Oder könnten neue Entwicklungen die Kategorien potentiell erweitern?
Grundsätzlich möchten wir noch mehr in Richtung funktioneller Systeme entwickeln, also Mischsysteme aus Klebstoffen bzw. Trägern und Materialien, die Klebeprodukten zusätzliche Funktionen verleihen. Wir arbeiten vermehrt im Bereich wärme- oder elektrisch leitender sowie flammhemmender Systeme und möchten schließlich den Sprung zu noch anspruchsvolleren Systemen wagen!
Wird bei Lohmann hauptsächlich selbst entwickelt? Und wo liegen hierbei die Vorteile?
Bei den Acrylaten entwickeln wir etwa zu 50% selbst und stecken daher viel Energie in diesen Bereich. Alle anderen Klebstoffe kaufen wir in Form von Rohmaterialen bzw. Basisklebstoffen zu, entwickeln diese allerdings weiter und mischen auch selbst. Wir formulieren also „zu Ende“. Darin liegt auch gleich der große Vorteil: Wir verfügen über das vollständige Verständnis dieser Produkte und können an jeder Stelle eine Anpassung an die Bedürfnisse unserer Kunden vornehmen. Mit anderen Worten: Wir können sehr frei und kreativ arbeiten. Das gilt übrigens nicht nur für die Klebstoffformulierung, sondern auch für Trägermaterialien wie Schaumstoffe und Folien: hier forschen und arbeiten wir sehr eng mit hervorragenden Lieferanten zusammen.
Du hast gerade schon von Kundenwünschen gesprochen. Welchen Platz nehmen diese in Eurem Entwicklungsprozess ein? Sind sie immer die „Auslöser“? Oder geht aus Eurer Forschung im Nachgang eine konkrete Anwendungsmöglichkeit hervor?
Es ist beides möglich. Einem Kundenwunsch folgend, also entsprechend eines „Market Pulls“, antworten wir auf bestimmte Bedürfnisse und Anforderungen. Was soll das Produkt können? Dazu stimmen wir uns eng mit den Produktexperten unserer APM (Application & Product Management) Abteilung ab. Aber wir arbeiten außerdem an Neuentwicklungen in Kooperation mit verschiedenen Instituten und Universitäten. Hier können wir unserer Leidenschaft als „Bonding Engineers“ komplett freien Lauf lassen: ob neue Träger, Klebstoffe oder funktionelle Systeme. Dieser Teil unserer Arbeit schafft natürlich wiederum Potential für die Entstehung neuer Anwendungsfelder bzw. die Gewinnung völlig neuer Kunden. Auch unsere Lieferanten sind ein wichtiger Teil der Innovation. Denn das gute Verhältnis zu ihnen sorgt dafür, dass wir oft bereits am Anfang bei ihren spannenden neuen Entwicklungen dabei sind.
Kannst Du uns Genaueres zur Zusammenarbeit mit Instituten und Universitäten verraten?
Das kann natürlich ganz unterschiedlich aussehen. Zur Zeit arbeiten wir gemeinsam mit unterschiedlichen Partnern an verschiedenen Förderprojekten, die teils auf regionaler Ebene, teils aus europäischen Fonds bezuschusst werden. Hier geht es um die Entwicklung noch nachhaltigerer und umweltfreundlicherer Klebeprodukte sowie den Einsatz alternativer Beschichtungstechnologien zur Reduktion von Lösemitteln oder im Rahmen bestimmter medizinischer Themen. [Anm. d. Red.: mehr dazu finden Sie unter: Forschung und Förderung bei Lohmann
Du sprichst gerne im Plural – wie sieht der Arbeitsalltag für Dich und Dein Team aus? Was erwartet einen Besucher in der R&D bei Lohmann?
Überraschungen! Es gibt tatsächlich kein Muster. Wir sind in Projektarbeit organisiert: Neuentwicklungen für spezielle Kunden, den Markt oder die Optimierung unserer Produkte, kostengünstigere Rohmaterialien. Es wird nie langweilig. Ich sage gerne: Unsere Arbeit ist plan- aber nicht vorhersehbar. Und genau das ist das Schöne.
Wie sieht es mit eurer typischen Arbeitsumgebung aus?
Das sind natürlich vor allem die Labore. Im 2016 eröffneten Technologie Center verfügen wir über den aktuellsten Stand der Technik, gestaltet entsprechend eines natürlichen Entwicklungsablaufs: von der einen zur anderen Seite des Labors findet man Stationen für die Polymerisation, Formulierung, Beschichtung, Laminierung, das Zuschneiden, Testen, sowie eine optionale für den Versand an Kunden oder Auftraggeber. Alles kann getrennt gesäubert werden, was besonders zu Zeiten der Covid-19 Pandemie wichtig wurde. Wir halten einen sehr effizienten und hohen Standard bei Lohmann – so macht unsere Arbeit Spaß!
Allerdings findet Produktentwicklung nicht nur in Laboren statt – sie ist computer- und datengetriebener denn je. Auch hier sind wir bestens ausgestattet. Daten, die wir erzeugen oder in der Vergangenheit erzeugt haben (über viele Jahre hinweg!), nutzen wir, um unsere Produkte noch besser zu verstehen, zu optimieren und Neuentwicklungen besser und schneller zu gestalten. Die Pflege unserer Datenbanken und die Nutzung intelligenter Software sind unschätzbar wichtig für unsere Arbeit. Über die ersten vielversprechenden Ansätze der Nutzung von KI (künstliche Intelligenz) habe ich im Februar in Amsterdam einen Vortrag gehalten, der sehr positiv aufgenommen wurde.
Verrätst Du uns ein paar eurer neuesten Entwicklungen?
Da gibt es natürlich einige. UV-LUX könnte vielen bereits bekannt sein – das UV-aktivierbare Klebeband mit Farbumschlag war sogar eine weltweite Neuheit! Außerdem könnte ich hier ein wärmeleitfähiges Klebeband aus dem Bereich funktioneller Systeme erwähnen, entwickelt für den Automobilbereich. Für die immer komplexeren Anforderungen in der Druckbranche steht ebenfalls etwas Spannendes in den Startlöchern: Eine Klischeeklebeband, speziell entwickelt für eine noch bessere Haftung am Sleeve. Kantenablösungen können damit vermieden und die Prozesssicherheit gesteigert werden.
Wohin geht der Trend in der Klebstoffformulierung?
Ähnlich wie in anderen Industriezweigen bewegen auch wir uns sehr deutlich und entschieden in Richtung Nachhaltigkeit – was sich unter anderem in wasserbasierten Klebstoffsystemen zeigt, aber auch in wiederverwendbaren Klebeprodukten. In diese zukunftsweisende Technologie hat Lohmann kürzlich eine große Investition getätigt: An unserem Standort in Neuwied befindet sich aktuell eine neue Beschichtungsanlage für die Verarbeitung von Haftschmelzklebstoffen im Aufbau. Speziell auf unsere Bedürfnisse konzipiert und damit weltweit einzigartig. Auch die bereits erwähnten funktionellen Systeme, die die Eigenschaften eines Klebeproduktes erweitern („mehr als nur Kleben“) sind hier zu nennen. Und natürlich die computergestützte, datengetriebene Entwicklung. Wir sind also praktisch „mitten drin“ in dem, was wir als „Trends“ formulieren würden.